Alpinjournalist und tourentipp.com-Autor Michael Pröttel hat im Frankreich-Urlaub die Bergstiefel gegen Paddel getauscht und dabei eine fantastische Gebirgslandschaft einmal ganz anders erlebt. Kanufahren auf der Ardèche ist also eine echte Empfehlung für den nächsten Urlaub und zwar ganz besonders für den Herbst.
Der Herbst ist nämlich die beste Jahreszeit, um eine der beeindruckendsten Gebirgsschluchten Europas mit dem Kanu zu befahren. „Ich denke, es sind schon bis zu 5000 Boote pro Tag." Christophs Einschätzung bezüglich der maximalen Frequentierung im August ist nicht als Scherz gemeint. Sollen wir uns das wirklich antun? Der sympathische Chef des Kanu Verleihs „L´Arche de Noé“ zerstreut unsere Zweifel glücklicherweise gleich schon im nächsten Satz: „Keine Angst, jetzt Anfang September sind höchstens um die 200.“ Der mit Spannung erwarteten Papa-Sohn-Tour auf der von steilen Felswänden flankierten Ardèche steht also nichts mehr im Wege.
Sieben? Vierundzwanzig? Einunddreißig? Wer die landschaftlich einmalige Gorges de l’Ardèche befahren will, muss sich zunächst die Frage stellen, wie viele Paddel Kilometer er seinen Oberarmen zutraut. Von allen Bootsverleihern werden drei verschiedene Strecken angeboten, zu deren Start- und Endpunkten man samt Boot, Paddel, wasserdichter Tonne und Schwimmwesten gebracht und abgeholt wird. Highlight der kürzesten, etwa sieben Kilometer langen Etappe, für die knappe zwei Stunden (gemeint ist jeweils die reine Paddel Zeit) veranschlagt werden, ist die Durchfahrt des gewaltigen Natursteinbogens Pont d´Arc. Der nach dem Mont Blanc am zweitmeisten besuchten Sehenswürdigkeit der Region Rhône-Alpes.
Die 24 Kilometer lange Fahrt auf dem daran anschließenden Abschnitt begleiten wiederum die höchsten und steilsten Felswände der Ardèche, sensationelle Flussschleifen wie der Cirque de Madeleine und nicht zuletzt traumhafte Uferplätze, an denen man die Seele baumeln lassen kann. Stundenlang darf man auf den schönen Kiesbänken oder auf den, von der Sonne aufgewärmten Felsplatten aber nicht abhängen. Die Fahrzeit bis zum Schluchtausgang bei Sauze beträgt immerhin viereinhalb Stunden. Und um halb fünf muss man spätestens ankommen, will man nicht nach Valon Pont d´Arc (wo sich die meisten Kanu Anbieter befinden) zurück trampen. Wer sich schließlich den gesamten Ardèche Canyon zutraut, bekommt freilich alle landschaftlichen Highlights dieses sensationellen Gebirgsflusses zu Gesicht, muss sich aber auf eine Streckenlänge von 31 Kilometern und eine Paddelzeit von stolzen sechs Stunden einstellen. Die eine oder andere Stromschnelle muss man allerdings auf allen drei Varianten meistern.
Zwei mal zwei statt einmal vier. Entsprechend aufgeregt und hektisch verläuft das Familienfrühstück. Simon und ich müssen uns beeilen. Um Punkt neun sind wir für die Abfahrt zur 24 Kilometer Tour verabredet. Kookie und Joris können in unserem Campingbus, der praktischerweise direkt am hübschen Parkplatz von „L´Arche de Noé“ steht, noch ein wenig trödeln. Sie haben „nur“ die Kurzetappe vor sich. Eigentlich war geplant, die mittelgroße Etappe gemeinsam zu befahren. Am Vorabend begrüßte uns Valon Pont d´Arc jedoch mit einer Riesen Enttäuschung. „Tut uns leid, aber Kinder dürfen erst ab sieben Jahren auf die Ardèche,“ lautete die freundliche aber unumstößliche Ansage, des ersten Vermieters, den wir am südfranzösischen Kanu-Mekka ansteuerten. Da sich eine Berg affine Aktiv-Familie nicht so leicht ins Bockshorn jagen lässt und die Enttäuschung des sechseinhalb jährigen Joris ein Meer an Tränen evozierte, lautete die Devise „Woanders nachfragen schadet ja nicht.“ Tatsächlich drückte mit der „Arche Noah“ gleich der nächste Anbieter ein Auge zu. „Wenn er gut schwimmt und gerne ins Wasser springt, kann einer von euch beiden mit Joris jetzt in der Nachsaison die Kurzetappe unternehmen,“ lautete Christophs erlösende Erlaubnis. Dass der elfjährige Bruder unbedingt mit dem Papa in die Ardèche stechen will, war natürlich abzusehen.
Tatsächlich empfindet mein Sohnemann die folgenden Stromschnellen als fast zu zahm. Dass Übermut unter Umständen bestraft wird, müssen wir allerdings bei der letzten Stromschnelle zur Kenntnis nehmen. Da uns die rechte von zwei möglichen Durchfahrten als zu läppisch vorkommt, steuern wir nach links. In gewohnter Klasse geht’s wieder flott am Gegenhang vorbei. Allerdings endet dieser in einem Felsüberhang, an dem sich Simon ordentlich den Kopf anhaut. Mit etwas schlechtem Gewissen entbinde ich meinen Sohn vom Kräfte zehrenden Endspurt (die letzten drei Kilometer hat der Fluss kaum noch Strömung), paddle das letzte Stück so gut wie allein und freue mich, als er an der Anlegestelle quietschfidel meint: „Hey Papa, Paddeln ist viel cooler als Wandern.“
Autor: Michael Pröttel