Kaum jemand kennt ihn, den zweithöchsten Berg Deutschlands im Wettersteingebirge. Dabei ist die Besteigung des Hochwanners (2744 m) aus dem österreichischen Gaistal bezüglich Einsamkeit und Aussicht kaum zu übertreffen.
Von Astrid Därr
Wettersteingebirge – wer denkt da nicht an die Zugspitze, flankiert von hohen Felszacken wie den Riffelspitzen, dem Waxenstein und der Alpspitze. Aber welcher Gipfel ist eigentlich der zweithöchste Deutschlands? Am häufigsten kommt da wohl die Watzmann-Mittelspitze mit 2713 Metern in den Sinn. Der Schneefernerkopf (2875 m) und die Mittlere Wetterspitze (2747 m) unmittelbar südlich der Zugspitze liegen ebenfalls nahe. Doch diese zählen aufgrund der zu niedrigen Schartenhöhe nicht als eigenständige Gipfel, sondern als Teil des Zugspitzmassivs. Hochwanner? Darauf wären selbst viele Bergführer nicht gekommen. Wer schon mal durch das Reintal zur Reintalangerhütte gewandert ist, kennt zumindest seine imposante, steile Nordwand, die das Flusstal im Süden begrenzt. Mit einer Wandhöhe von 1400 Metern gilt sie als die höchste Nordwand der Ostalpen. Für normale Bergwanderer ist die lange, kaum begangene Kletterroute durch die Nordwand (bis 3. Grad UIAA) kaum möglich. Deshalb nehmen wir den Gipfel von der Südseite aus dem Tiroler Gaistal in Angriff.
Das Gaistal erstreckt sich zwischen Wetterstein- und Miemingergebirge von den Ehrwalder Almen bis nach Leutasch bei Seefeld in Tirol. Mit den E-Bikes zischen wir vom Parkplatz Salzbach bei Leutasch auf der Forststraße flussaufwärts nach Westen: Das laute Rauschen der glasklaren Leutascher Ache im Ohr, die markante Hohe Munde (2592 m) am Südufer immer im Blick. Nach vier Kilometern ist die ganzjährig bewirtschaftete, idyllische Gaistalalm (1373 m) erreicht. Auf den Weideflächen lassen sich nicht nur Kühe, sondern auch viele Pferde die Bergkräuter und -blumen schmecken. Wir lassen die Alm rechts liegen und strampeln fortan bergauf. Direkt über uns erheben sich schon die schroffen, grauen Felswände des Hochwanners in den weiß-blauen Herbsthimmel. Die Forststraße führt über Almwiesen und später in zahlreichen Kehren durch Tannen- und Lärchenwälder aufwärts. An einigen Steilstücken erfordern schottrige und zum Teil ausgewaschene Stellen (insbesondere bei der Abfahrt) etwas Fahrgeschick mit den schweren E-Bikes. Oberhalb der Baumgrenze im Latschengelände werden die Ausblicke hinüber zur Mieminger Kette und auf die Gipfel der Umgebung immer eindrucksvoller, die Fotostopps häufiger. Nach rund eineinhalb Stunden Auffahrt ab dem Salzbach-Parkplatz sitzen wir mit einem kühlen Radler auf der Sonnenterrasse der kleinen Rotmoosalm.
Die Lage der urgemütlichen Holzhütte auf einem Felsvorsprung in 2030 Metern Höhe könnte nicht spektakulärer sein: im Westen der Predigtstein (2234 m), im Osten die Gehrenspitze (2367 m), die Mieminger Kette mit den beiden Gipfeln der Hohen Munde direkt vor Augen, die Gipfelparade des Wettersteingebirges im Norden im Rücken. Die Hüttenwirte Eva und Florian betreiben hier noch echte Almwirtschaft mit über 300 Rindern und 20 Pferden. Nach dem Abendessen bewundern wir das Farbenspiel des Sonnenuntergangs auf dem Kamm unmittelbar hinter dem Haus – das Wetter für den Gipfeltag sieht gut aus.
Am nächsten Morgen lugt die Sonne hinter der Gehrenspitze im Osten hervor und beleuchtet mit ihren ersten sanften Strahlen die Hütte. Wir brechen früh auf und schwingen uns für eine Viertelstunde wieder auf die E-Bikes. In einer Kehre etwas unterhalb der Rotmoosalm parken wir die Räder und steigen den markierten Südwandsteig in Richtung Steinernes Hüttl zu Fuß auf. Der Tiroler Bergführer und Alpinpolizist Franz Poppeller, der erst am Morgen mit seinem E-Bike zur Hütte aufgefahren ist, marschiert voraus. Immer wieder flüchtet eine Gruppe Gämsen aus den gerölligen Südhängen des Hochwanners, die wir nach Westen queren. Die Murmeltiere sind dagegen recht zutraulich und beäugen uns direkt am Wegesrand. Andere Menschen begegnen uns keine.
»Der Weg auf den Hochwanner ist relativ einsam und unbekannt, das Gehen im Schottergelände aber mühsam«, erzählt Franz, als wir vom Mitterjöchl auf einem Rücken immer steiler durch loses Geröll stapfen. In etwa 2350 Metern Höhe packen wir die Stöcke weg und setzen die Helme auf. Nun ist leichte Kraxelei durch einen zehn Meter hohen Kamin gefordert. Mit dem Einsatz der Hände ist das schottrige Steilstück (I. bis II. Grad) aber schnell überwunden. Inzwischen gibt es keinen erkennbaren oder markierten Weg mehr. Wir orientieren uns an einzelnen Trittspuren und Steinmännchen. »Hier muss man schon ziemlich trittsicher sein. Aber dafür läuft man durch wunderbare Landschaft auf einen schönen Aussichtsberg« sind Franz´ motivierende Worte auf den letzten zweihundert Höhenmetern.
Eine detaillierte Routenbeschreibung mit Bildern und GPS-Track findest du hier auf Tourentipp unter Bergtour Hochwanner.
Und der Franz hat nicht zu viel versprochen: Vom schmucken Gipfelkreuz des Hochwanners blicken wir direkt auf das Zugspitzplatt, das gesamte Zugspitzmassiv bis nach Garmisch und ins Flachland. Im Süden reicht das Panorama über das Gaistal und die Mieminger Kette bis zu den vergletscherten, hohen Bergen der Zentralalpen. Die deutsch-österreichische Grenze verläuft genau über den langgezogenen Gipfelkamm. Für Österreich ist dieser Berg nur einer von vielen Zweitausendern im Land, für Deutschland der zweithöchste Gipfel. Vielleicht verirren sich zukünftig ja ein paar mehr Bergsteiger hier hinauf – die Mühe lohnt sich.
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Autorin: Astrid Därr (Text & Bilder)